Johanna Wedl

Susanne Brunner hatte sich auf einen gemütlichen Freitag bei Schnee und Sonnenschein in den Bergen gefreut. Sie war am Vormittag bereits in Göschenen eingetroffen, um sich mit weiteren Stadtzürcher Gemeinderäten und Urner Kollegen über Regionalpolitik auszutauschen. Doch da erreichte sie überraschend der Entscheid des Zürcher Bezirksrates zur «Genderpolizei»-Debatte. Brunner hatte diese im vergangenen Sommer im Rat angestossen, und so entschloss sie sich, zurück in den Zug nach Zürich und zurück zur Arbeit zu fahren.

Rechtsgrundlage fehlt

Der Beschluss ist nicht ohne Brisanz. Der Bezirksrat kommt nämlich zum Schluss, dass es nicht zulässig ist, einen politischen Vorstoss zurückzuweisen, weil dieser nicht gendergerecht formuliert ist. Dafür fehle die gesetzliche Grundlage, heisst es im Entscheid, der am Freitag publiziert worden ist. Die Behörde heisst einen Rekurs von Brunner gut, eine entsprechende Interpellation muss mit unverändertem Wortlaut überwiesen werden. Die Parlamentarierin erhält zudem eine Prozessentschädigung von 4500 Franken, die sie einer wohltätigen Organisation spenden will.

In den Ausführungsbestimmungen zur Geschäftsordnung des Gemeinderates ist seit bald zwei Jahren festgehalten, dass Männer und Frauen gleich behandelt werden müssen. Dieser Passus könne aber nicht so verstanden werden, dass eine Interpellation nur dann zugelassen werde, wenn darin explizit beide Geschlechter erwähnt seien. Derart weitreichende Vorschriften zu erlassen, sei nicht in der Kompetenz des Büros des Gemeinderates und verletze das Legalitätsprinzip.

Wenn, dann hätte man die Vorgabe in einem Gemeindeerlass regeln müssen, erläuterte Brunners Rechtsanwalt Lukas Rich an einer kurzfristig anberaumten Medienkonferenz am Freitagnachmittag. Doch selbst dann sei fraglich, ob solch detaillierte sprachformale Vorgaben zulässig wären, damit ein Vorstoss zurückgewiesen werden könne.

Brunner selbst sagte, sie sei sehr froh über den Entscheid. Das «Sprachdiktat», das die linke Ratsmehrheit ausübe, sei damit nicht mehr länger haltbar. Der Beschluss korrigiere die «regulatorische Entgleisung» des Parlamentes und bringe die sprachliche Freiheit zurück, erläuterte Brunner. Ihr liege die Eleganz der deutschen Sprache am Herzen, betonte die Politikerin. Sätze «durchzugendern», mache die Sprache sperrig und verunstalte sie.

Darüber hinaus schliesse das generische Maskulinum niemanden aus, betonte Brunner. Ein Gutachten eines deutschen Sprachwissenschafters der Universität Bamberg, das sie in Auftrag gegeben habe, habe ihr bescheinigt, dass die Verwendung zulässig sei und damit beide Geschlechter gleichermassen angesprochen würden.

«Sprache spielt eine Rolle»

Mit dem Beschluss fährt der Gemeinderat eine Niederlage ein. Er ist eine Klatsche für das Gemeinderatsbüro. Dieses hatte Brunners Interpellation, ein unbewilligtes Festival im Pfingstweidpark vergangenen Sommer betreffend, zwei Mal zurückgewiesen, weil sie darin von «Besetzern» geschrieben hatte, statt die Begriffe «Besetzerinnen und Besetzer» oder «Besetzende» zu verwenden. Brunner als Erstunterzeichnerin nutzte daraufhin die Möglichkeit, einen Entscheid des Gemeinderates zu verlangen. Dieser gab ihr jedoch einen Korb und lehnte den Antrag deutlich ab, die Interpellation zuzulassen. Brunner wollte die Sache damit nicht auf sich beruhen lassen und gelangte mit einem Rekurs an den Bezirksrat. Sie fand unter anderem, der Beschluss verstosse gegen den Anspruch auf Meinungs- und Sprachfreiheit. Für die juristische Auseinandersetzung sammelte sie in einem Crowdfunding Geld. Es kamen 16 000 Franken zusammen, das Geld ist praktisch aufgebraucht.

Der Gemeinderat dagegen stellte sich auf den Standpunkt, die gesetzliche Grundlage genüge. Es sei am Ratsbüro, zu regeln, wie Vorstösse sprachlich zu gestalten seien. Das Parlament hat nach dieser Schlappe die Möglichkeit, den Beschluss an das Verwaltungsgericht weiterzuziehen. Ob man dies dem Gemeinderat beantrage, werde in einer Sitzung am Montagabend entschieden, sagte Büromitglied und zweiter Vizepräsident Mischa Schiwow.

Er selbst werde sich aber nicht für einen Weiterzug einsetzen, ergänzte der AL-Politiker auf Anfrage. Der Entscheid sei aus juristischer Sicht nachvollziehbar. Jetzt, da klar sei, dass die Bestimmung rechtswidrig sei, stelle sich aber die Frage, ob man unabhängig davon nochmals über die gendergerechten Formulierungen diskutiere. «Wir müssen das Thema nochmals auf den Tisch bringen und eine neue Regelung finden.» Politisch dagegen lehne er den Entscheid ab, betonte Schiwow. «Wir leben in einer Zeit, in der Frauen nach wie vor um ihre Rechte kämpfen müssen. Die Sprache spielt eine Rolle darin, dass und wie sie wahrgenommen werden.» Bezeichne jemand den Beschluss als Sieg der Vernunft, sei das ein grosser Rückschritt. Der Rat befasst sich in seiner Sitzung vom 5. Februar 2020 abschliessend mit dem Thema.

(Publiziert in der “nzz” am 25. Januar 2020)