Gender Weil sie in einem Vorstoss nur die männliche Form verwenden wollte, liess der Gemeinderat eine Interpellation von Susanne Brunner (SVP) nicht zu. Dafür fehle die Rechtsgrundlage, entscheidet der Bezirksrat.
Corsin Zander
Susanne Brunner liess es sich nicht nehmen, diesen Sieg zu zelebrieren. Die SVP-Gemeinderätin war gerade mit anderen Parlamentariern auf Einladung des Urner Landrats in Göschenen. Doch als sie erfuhr, dass sie vom Bezirksrat recht erhalten hatte, organisierte sie eiligst eine Pressekonferenz und fuhr nach Zürich, um ihren Sieg gegen die «Genderpolizei» zu verkünden.
Brunner führte in den vergangenen Monaten einen Rechtsstreit gegen das Büro des Gemeinderats. Dieses hatte einen Vorstoss von ihr zurückgewiesen, weil er nicht den Regeln entsprach, die das 13-köpfige Gremium einstimmig festgelegt hatte: Frauen und Männer seien in Vorstössen «sprachlich gleichberechtigt zu behandeln». Brunner weigerte sich aber, in einer Interpellation zur Besetzung des Pfingstweidparks von «Aktivistinnen und Aktivisten» oder «Anwohnerinnen und Anwohnern» zu schreiben und verwendete stattdessen nur die männliche Form. Damit war das Büro und später eine Mehrheit des Gemeinderats nicht einverstanden.
Brunner sammelte mittels Crowdfunding 16000 Franken und legte mit ihrem Anwalt beim Bezirksrat Rekurs ein. Zudem liess sie von einem deutschen Professor ein Gutachten erstellen, das zeigt, dass im generischen Maskulinum die Frauen mitgemeint seien.
Gemeinderat verliert
Gestern verkündete der Bezirksrat, die sprachformalen Grundlagen hätten keine genügenden gesetzlichen Grundlagen. Er gab Brunner recht und entschied, die Interpellation sei «in unverändertem Wortlaut» an den Stadtrat zu überweisen. Ausserdem verpflichtete er den Gemeinderat, Brunner 4500 Franken für die Anwaltskosten zu bezahlen und auferlegte ihm die Prozesskosten von 1800 Franken.
Brunner geht es um nichts weniger als die Demokratie: «Der Bezirksrat hat die regulatorische Entgleisung der Genderpolizei korrigiert», zeigt sie sich erfreut. Es könne nicht sein, dass eine links-grüne Mehrheit ihr vorschreibe, wie sie sich ausdrücken soll. «Das Wort muss in der Demokratie frei sein.»
Die angesprochene links-grüne Mehrheit nimmt den Entscheid gelassen: «Offenbar war es illegal, die Bestimmung so in dieser Form festzuhalten. Dann ändern wir das eben», sagt Markus Kunz (Grüne). Ähnlich äussert sich Helen Glaser (SP), auch wenn sie es bedaure, auf eine solche «fortschrittliche Bestimmung» zu verzichten. Nüchtern reagieren auch Bürgerliche. Sie hätten den Entscheid so erwartet, sagen etwa Guy Krayenbühl (GLP) oder Martin Bürki (FDP). Sie alle sind Mitglieder des unterlegenen Büros, das nun am Montag entscheiden wird, ob es den Entscheid ans Verwaltungsgericht weiterziehen will. Abschliessend befindet der Gemeinderat am 5. Februar darüber.
Es ist aber auch denkbar, dass das Büro den Entscheid akzeptiert. Selbst bei Linken sind Stimmen auszumachen, die Brunner in ihrem Anliegen unterstützen. «Man soll im politischen Prozess sehen, wer sich wie äussert», sagt Marco Denoth (SP). Der Freisinnige Bürki drückt sich ähnlich aus: «Wenn Brunner die weibliche Form weglässt und somit die Hälfte der Bevölkerung nicht ansprechen will, soll sie das tun.» Beide betonen aber auch, dass sie sich an die «gendergerechte Sprache» halten würden.
Mit ihrem Engagement hat Brunner auch einen Sieg für die AL errungen. Das Büro wies jüngst einen Vorstoss von David Garcia Nuñez zurück, weil es die Schreibweise nicht akzeptierte. Er hatte vom «Arbeiterinnenquartier» geschrieben. Geht es nach dem Bezirksrat, darf er das künftig wieder tun.
(Publiziert im “Tages Anzeiger” am 25. Januar 2020)